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Perspektive wechseln


"Es gibt nur eine falsche Sicht: die Überzeugung, meine Sicht ist die einzig richtige." Nagarjuna

In meinem Empfinden ist es gerade so, dass Corona uns nicht nur räumlich trennt, sondern mehr und mehr auch geistig. Bei manchen Äußerungen, die man in den sozialen Netzwerken so findet, könnte man fast glauben, es sei eine religiöse Frage. "Welchem Gott glaube ich und wer ist wahre Gott". Das macht mich sehr traurig, vor allem wenn ich merke, dass auch kein Diskussionsspielraum mehr da ist für eine andere Sicht. Wenn die eigene Überzeugung zum Dogma erhoben wird und jede Form der Informationsbeschaffung nur darauf abzielt, eben dieses Dogma zu stärken. Man huldigt diese Informationen und beschuldigt die andere "Front", Statistiken zu fälschen und Fakten vollkommen zu verzerren. Die Vertreter eben dieser Seite behaupten genau das Gleiche. Und so öffnet sich die Kluft und wird immer größer.


Was man schnell vergisst, wenn man sich einer "Glaubensrichtung" anschließt, ist, dass es im Leben kein entweder oder gibt. Es ist viel mehr ein "sowohl als auch", weil es eben immer auch auf die Blickrichtung ankommt. Doch in der Reaktion der Angst, die viele umtreibt, und dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, werden Herzen eng und Standpunkte verfestigen sich. Und so treibt man Menschen, die nicht die gleiche Meinung vertreten, weit von Dich weg. Hat man von 3 Monaten noch bei einem Abendessen zusammen über Politik gescherzt, versucht man nun den anderen zu seinem "Glück" zu zwingen, damit er doch ENDLICH versteht um was es eigentlich geht.


Wenn es Dir möglich ist, empfehle ich Dir, einfach mal die Perspektive zu wechseln. Nimm doch mal die Seite des anderen ein und lass Dich mit offenen Herzen darauf ein. Versuche seine Ängste zu sehen, seine Bedenken. Vielleicht auch dessen Erfahrungen, die ihn dazu veranlassen, seinen Standpunkt einzunehmen. Vielleicht spürst Du dann, wie sich Dein Denken weitet. Und vielleicht wird aus einem entweder/oder plötzlich ein "ja, so kann man das auch sehen". Das heißt ja nicht, dass Du eine andere Meinung einnehmen musst. Sondern Du lernst dadurch vielleicht einfach nur, dass es eine Berechtigung für die andere Sicht gibt.


Es gibt einen schönen Satz, den ich hier zitieren möchte: "Möchtest Du Recht haben oder glücklich sein?" - Als ich ihn das erste mal gehört habe, hat sich erst mal mein Magen zusammen gezogen. Ich war mit der Botschaft, die darin verborgen liegt, nicht einverstanden. Nach einigen Jahren, die ich mich aber nun mit vielen solcher Themen beschäftigt habe, verstehe ich die tiefe Weisheit, die dieser Aussage zu Grunde liegt. In dem Moment, in dem ich meine Recht zu haben, spreche ich einem anderen ab, dass seine Sicht der Dinge eben auch richtig sein kann. Ich entmündige ihn und damit entsteht natürlich Wiederstand. Und dieser Wiederstand erzeugt Leid. In dem Moment, in dem ich aus ganzem Herzen einräume, dass die Sicht des anderen aus seinem Blickwinkel eben auch richtig ist, stellt sich Frieden ein. Und das Schöne ist: dieser Frieden beginnt zu allererst in Dir selbst. Du stellst den Kriegsmodus ein und eine wunderbare Stille kann sich in Dir ausbreiten.


Wenn ich das so schreibe, heißt das nicht, dass es mir nicht auch so geht. Natürlich habe ich eine Meinung zu all dem, was gerade vor sich geht. Und diese stimmt nicht immer mit der Meinung meines Mannes oder meiner Freunde überein. Erst vor kurzem habe ich mich dazu hinreißen lassen, eine Nachricht aus den sozialen Netzwerken von einer Krankenschwester an einen sehr guten Freund zu schicken, die beweisen sollte, dass meine Sicht eben doch richtiger ist als seine. Die Reaktion folgte prompt: er schickte mir ein YouTube-Video mit einem Statement einer Ärztin, die eben seine Sicht der Dinge untermauerte. Wir standen wieder am Anfang und ich musste schmunzeln, denn dieses Spiel hätten wir endlos weiter spielen können. Und doch wäre der andere nicht überzeugt und im schlimmsten Fall hätten wir uns übereinander geärgert.


Diese Zeit kann für uns ein Coaching sein. Nämlich zu lernen, dass jede Sicht, jeder Blickwinken und jede Begründung eine Berechtigung hat. Und wir können lernen, dass wir bei einem dogmatischen Standpunkt vor allem uns selbst verletzen. Wir vergiften unsere Gedanken mit dem Glauben, unsere Sicht der Dinge sei die einzig richtige. Wir verlieren den Kontakt zu unseren Mitmenschen, manchmal sogar von denen, die wir lieben, nur weil wir Recht haben wollen. Und wer den größten Schaden daran nimmt, sind wir selbst.


Ich wünsche Dir, dass Du es schaffst, die Perspektive zu wechsel. Ich wünsche Dir von Herzen, die Erfahrung, dass es Dein Denken bereichern wird.


Bleib gesund!





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