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Abgeschnitten sein...



Die Corona-Krise zwingt auch mich zu einer Auszeit. Wäre normal bei mir eine Hochsaison an Workshops, Therapiestunden und Sonderevents, habe ich gerade viel Zeit zum Entschleunigen. Das Schöne dabei ist, dass ich viel Zeit habe, den Dingen nachzugehen, die ich gerne tue. Und so höre ich mir gerade ein kleines Schätzchen als Hörbuch an. "Der Welt nicht mehr verbunden" von Johann Hari, in dem es um die "wahren Ursachen von Depressionen" geht. Nachdem er selbst jahrelang Antidepressiva geschluckt hat und fest davon überzeugt war, dass die Ursache seines Traurigseins ein chemisches Ungleichgewicht in seinem Gehirn ist, begab er sich dann doch noch auf die Suche nach anderen möglichen Ursachen. Sei Fazit: Depressionen werden immer dann ausgelöst, wenn wir uns nicht verbunden fühlen. Wenn wir die Verbindung zu einer sinnvollen Arbeit verloren haben, zu Werten, zu anderen Menschen, zur Natur und einigen anderen.


Das Schöne ist: er unterstreicht seine Aussagen durch eine Reihe von unterschiedlichen wissenschaftlichen Studien, die immer wieder bewiesen haben, dass eben nicht nur ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn dafür verantwortlich gemacht werden kann, sondern diverse Lebensumstände. Unter anderem eben auch die Gesellschaft und kulturelle Gewohnheiten. Er sprach mit verschiedensten Psychiatern und Wissenschaftlern und eigentlich bestätigten sie ihm mehr oder wenige alle, dass das so genannte chemische Ungleichgewicht im Gehirn eher eine Ausnahme als die Regel zu sein scheint. Er hingegen hatte eben seit seinem 14ten Lebensjahr geglaubt, sein Gehirn funktioniere einfach nicht richtig und schluckte daher immer höhere Dosen an Antidepressiva. Und seinen Recherchen zu Folge, ging dies vielen Menschen mit Depressionen so.


Auch ich wurde in meiner Ausbildung immer wieder darauf hingewiesen, dass wir als Heilpraktiker für Psychotherapie akzeptieren sollten, dass es eben eine biologische Ursache für starke Depressionen gäbe und wir deshalb an Fachleute abgeben sollten. Das ist für mich auch grundsätzlich vollkommen in Ordnung. Allerdings hatte ich immer einen komischen Beigeschmack, wenn es darum ging, dass es einfach nur ein kaputtes Gehirn sein sollte, das Menschen so traurig macht. Wenn ein traumatisches Ereignis in der Vergangenheit lag, darf dies laut ICD-10 nur dann als Ursache heran gezogen werden, wenn die Traurigkeit innerhalb von 2 Jahren auftritt und von alleine wieder weg geht. Ist das denn realistisch?


Wie auch immer... dieses Buch ist für mich gerade in diesen Zeiten sehr wertvoll. Denn ich merke an mir selbst, dass das Gefühl, von meinem "normalen" Leben abgeschnitten zu sein, mitunter immer wieder zu depressiven Gedanken und Traurigkeit führt. Und das, obwohl ich immer noch aus dem Haus gehen kann, ich telefonieren und chatten kann und meine Familie und ich doch recht harmonisch in Gemeinschaft leben. Wie geht es dann Menschen, die dieses "abgeschnitten sein" noch viel intensiver und vielleicht auch schon viel länger aushalten müssen?


Natürlich spricht Johann Hari auch von Lösungen, um dieses "abgeschnitten sein" wieder aufzulösen. Es geht darum, wieder in Verbindung zu gehen. In Verbindung zu sich selbst, zu anderen Menschen und gemeinsamen Werten. Unter anderem geht es auch darum, seinen Platz in einer Gruppe zu finden und in dieser einen Beitrag zu leisten. Ich glaube, dass wir in dieser speziellen Zeit ganz intuitiv genau das tun. Wir posten unsere Profilbilder mit dem #stayathome und ermahnen uns gegenseitig, die Vorgaben der Regierung einzuhalten. Wir erfinden Aktionen, mit denen lokale Anbieter unterstützt werden können. Wir helfen älteren Menschen, die nicht einkaufen gehen können. All das sind Maßnahmen, mit denen wir zum einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten und zum anderen stärken wir das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass die Menschen, die sich hier engagiert haben, insgesamt besser mit den Einschränkungen umgehen können, als die, die sich für den Rückzug entschieden haben. Es wäre auf jeden Fall mal eine Untersuchung wert.


Wie können wir uns wieder verbinden? Vor allem, wenn wir das Gefühl haben, es nicht selbst entschieden zu haben und uns fremdbestimmt fühlen?


Es gibt ganz bestimmt viele Antworten darauf.


Der Yoga und die buddhistische Philosophie setzen dabei unter anderem auf die Kultivierung der vier Unermesslichen Herzensqualitäten: liebende Güte, Mitgefühl, Freude und Gleichmut. Bei diesen geht es zu allererst immer um Dich selbst. Du startest mit der Verbindung zu Dir selbst und weitest diese dann nach und nach aus. Diese Praxis findet zuerst in der Meditation und nach und nach im "normalen" Leben statt. Vor allem die Praxis der liebenden Güte und die des Mitgefühls tragen deutlich dazu bei, dass wir uns wieder mit Menschen, einer Gruppe oder einer Interessensgemeinschaft verbinden. Meist führt dies auch unmittelbar dazu, dass wir gerne einen Beitrag leisten wollen und so mehr Selbstwirksamkeit erfahren. Dies können ganz wertvolle Schritte aus depressiven Gedanken sein.


Gerne spreche ich mit Dir über die Möglichkeiten, dich wieder zu verbinden. Wir werden immer damit beginnen, nach innen zu schauen. Glaube mir: es ist eine spannende Reise.







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